Schneefälle der letzten Tage verhalfen dem Post-SV Tübingen zum „richtigen Nikolauslauf“ – Trotz winterlichen Bedingungen über 2000 (!) Finisher in der Tübinger Nordstadt - Blinden-Weltrekordlerin Regina Vollbrecht am Start
35. Tübinger Nikolauslauf – ein Wintermärchen – Clemens Bleistein und Sabine Oesterle vor 2172 weiteren NikolausläuferInnen – Wilfried Raatz berichtet
Winterlandschaft pur. Der Post-SV Tübingen hätte es nicht perfekter treffen können zum 35. Nikolauslauf im Norden der Universitätsstadt. 2 174 Finisher konnte das Zeitmessteam in der Waldhäuser Straße an der Geschwister-Scholl-Schule registrieren, nur geringfügig weniger als bei der letztjährigen Rekordzahl von 2 182 – und dies bei ungleich schwierigeren Bedingungen. Aber Nikoläuse müssen überaus harte Burschen und Mädels sein, denn wie sonst würde sich eine derart hohe Resonanz im Ziel erklären?
„Seit 12 Jahren wieder einmal richtig Schnee, damit hatten wir endlich wieder einmal einen richtigen Nikolauslauf. Respekt allen, die ins Ziel gekommen sind!“ zollte Nikolauslauf-Projektleiter Gerold Knisel den über zweitausend Finishern seine Hochachtung. „Wir mussten schon überlegen, was an der Strecke zu präparieren sein würde“, gestand Post-SV-Chef Wolfgang Amman. „Uns war aber eines klar: Bevor der Startschuss fallen wird, müssen einige von uns richtig arbeiten!“ Das lag allerdings auf der Hand, denn in der überaus informativen Ausschreibung stand es schwarz auf weiß: „Die Veranstaltung findet bei jeder Witterung statt!“
Keine Bedingungen für Bestzeiten, für Rekordjäger. So durften einmal die erzielten Siegerzeiten in kein Verhältnis zu den Streckenbestzeiten von Dieter Baumann (1:07:15) und Stephanie Beckmann (1:21:21) gestellt werden. Dennoch gab es spannende Zweikämpfe um die Plätze auf dem Podium. Vierzehn Kilometer lang war es der dreifache deutsche Berglaufmeister Timo Zeiler, der nur wenige Kilometer weiter in Trochtelfingen auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen ist und in Tübingen seinen letzten Start für die LG Eintracht Frankfurt absolvierte, bevor er im kommenden Jahr das Trikot der MTG Mannheim überziehen wird, der das Tempo bestimmte.
Dann übernahm der Vorjahressieger Clemens Bleistein bei seinem Heimspiel die Initiative, obgleich er inzwischen in München studiert, aber weiterhin der LAV asics Tübingen die Treue hält. Der 20jährige ließ sich den Triumph nicht mehr nehmen und durfte sich zu recht im Ziel von den zahlreichen Zuschauern nach 1:15:42 Stunden feiern lassen. „Die Zielgeraden konnte ich genießen. Gut, dass ich auf dem Schneematsch nicht mehr spurten musste!“ Und gab dem letztlich nur auf Rang drei eingelaufenen neun Jahre älteren schwäbischen Kollegen Timo Zeiler einen „guten Ratschlag“ mit auf den Weg: „Halbmarathon ist auch eine Sache der Geduld! Laufen ist eine Outdoor-Veranstaltung, da muss man mit allen Verhältnissen klar kommen. Ich habe mir anfangs gedacht, wenn Timo so gut drauf ist, wie er das Tempo vorgibt, dann soll er es machen!“
Und das deutsche Berglauf-Ass gab unumwunden zu, dass er sich „zu gut gefühlt“ habe. „Ich habe mit meinem Trainer zwar eine andere Renntaktik vor dem Start abgesprochen, aber ich habe mich einfach zu gut gefühlt – und wollte von der Spitze mein Tempo laufen. Heute hat eben derjenige gewonnen, der taktisch klüger gelaufen ist. Und das war eben nicht ich. Aber aus derartigen Rennen muss ich meine Lehren ziehen. Das wird mir nicht mehr passieren!“
Zwischen Bleistein und Zeiler schob sich übrigens mit Tobias Schwippel ein weiterer Tübinger. „Eigentlich hasse ich diese Bedingungen“, gestand der ebenfalls Medizin studierende „ambitionierte Hobbyläufer“ (wie er sich selbst bezeichnete). „Das war für mich übrigens der längste Wettkampf, den ich jemals gemacht habe. Ich laufe lieber kürzer, so wie vor Wochenfrist, als er unweit von Fulda Deutscher Hochschulmeister im Crosslauf geworden war.
Ganz im Sinne des Tübinger Vorzeigeläufers, des Olympiasiegers Dieter Baumann, der übrigens als Elfter mit sechs Minuten Rückstand auf den Sieger ins Ziel mit sichtlichem Genuss einlaufen konnte – und sich als Sieger der Masterskategorie M 45 selbst gratulieren durfte, äußerte sich Clemens Bleistein über seine künftigen Ambitionen. „Mein Hauptaugenmerk liegt weiterhin auf der Verbesserung meiner Bahnleistungen. Erst möchte ich hier einmal ausreizen. Für Halbmarathon und Marathon habe ich noch viel Zeit. Meine Zukunft wird aber die Straße sein. Wenn ich dann zur Marathonstrecke wechseln werde, dann muss es aber auch richtig schnell werden!“
Der neue Marathon-Bundestrainer Ronald Weigel sollte sich die weitere Entwicklung des gerade Zwanzigjährigen genau betrachten. Vielleicht wird ein gereifter Bleistein einmal ein Großer, wie es Dieter Baumann am Rande der Alb geworden ist….
„Meine Waden spüre ich schon“, gestand Sabine Oesterle, die Überraschungssiegerin der 35. Auflage des Nikolauslaufes in 1:26:49 Stunden. „Ich habe gehofft, dass ich einmal hier gewinnen würde. Ich bin seit 2006 jedes Jahr dabei. Deshalb habe ich auch Spikes mit 12 mm-Dornen gewählt!“ Damit war die Tübingerin alleine auf weiter Flur im Kreis der Favoriten. „Vor solchen Überlängen habe ich hohen Respekt, deshalb bin ich die erste Hälfte auch sehr verhalten angelaufen!“
Zunächst machte die Vorjahressiegerin Friederike Kallenberg das Tempo, musste die Führung jedoch nach der Streckenhälfte an die Tübinger 10 km-Spezialistin abgeben. Die Ende Oktober bei ihrem Marathondebüt in Luzern auf Anhieb erfolgreiche, eigentliche Duathlon-Weltklasseathletin Julia Wagner galt nicht zuletzt wegen ihrer starken Laufleistung als eigentliche Favoritin. „Ich wollte fünf Wochen nach meinem Marathonlauf diesen Lauf eigentlich nur genießen. Ich habe mich gut erholt gefühlt, aber das hat sich als Trugschluss erwiesen!“
Unter zusätzlich erschwerten Bedingungen musste Regina Vollbrecht ins Rennen gehen. Beim Frankfurt-Marathon hatte sie erst in diesem Herbst eine neue Blinden-Weltrekordzeit mit 3:15:49 Stunden aufgestellt, jetzt ließ sie sich von ihrem Berliner Clubkollegen Ralf Milke über das tückische Geläuf geleiten – und schaffte das Ziel auf Rang 60 der Frauenwertung mit überaus respektablen 1:54:01 Stunden.
Der LBS-Nikolauslauf des Post-SV Tübingen ist eine Marke in Deutschland. In vielfältiger Weise wird Laufen zelebriert. Auch wenn die Strecke nach AIMS-Richtlinien vermessen und damit bestenlistenfähig ist, es ist weniger die Jagd nach schnellen Zeiten, sondern das Gesellige, das Miteinanderlaufen am Rande Tübingens, das über zweitausend LäuferInnen vornehmlich aus der Region auf Trab bringt. Die beiden Schluss-Nikoläuse Anne und Heinrich eingeschlossen, die angesichts der erschwerten Bedingungen den Zielschluss etwas offener gestalteten und die „rote Laterne“ (pardon: Zifelmütze) nach 2:53:13 Stunden ins Ziel brachten. Höchstes Lob von allen Seiten, eine perfekte Organisation definiert sich so: LSB-Nikolauslauf!
Wilfried Raatz
Alle Ergebnisse unter: www.nikolauslauf-tuebingen.de
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