Im Schatten der Tristesse der Berliner Mauer ©Heinrich von der Becke, Bildarchiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin.
25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Reimer und Hanne auf dem Mauerweg rund um Berlin
Der Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren am 9. November 1989 wird in Berlin feierlich und festlich begangen. Wie diese Zeit ein Berliner Läufer-Ehepaar empfunden und erlebt hat, schreiben sich Hannelore und Reimer Sigbjoernsen "von der Seele".
Beide sind seit dem Mauerfall natürlich weiterhin läuferisch aktiv. So wurde Reimer ab 1993 Mitarbeiter beim BERLIN-MARATHON, sie als ehrenamtliche Helferin. Zudem war Reimer auch ein sehr guter Mittelstreckler in der DDR.
Wir werden in loser Reihenfolge private Erlebnisse dokumentieren, die Läufer in diesen denkwürdigen Tagen erlebt haben.
Horst Milde
Schon seit den siebziger Jahren führte eine unserer Laufstrecken von unserem Kleingarten an der Dietzgenstraße in Pankow-Niederschönhausen von Rosenthal nach Blankenfelde entlang der damaligen Mauergrenze.
Natürlich nur am Rande des Sperrgürtels. Das war die alte, mit Kopfsteinen gepflasterte Mönchmühler Straße, über die Autos rumpeln, wenn sie den kürzesten Weg zwischen den Ortsteilen nehmen. Damals standen dort die Grenzschilder.
Dann und wann konnte man einen streng bewachten Güterzug beobachten, der auf dem Gleis der Heidekrautbahn in das Bergmann-Borsig-Gelände bei Wilhelmsruh durch das abgeschottete Grenzgebiet fahren mußte, um Material dorthin zu bringen.
Dann kam die Maueröffnung – natürlich auch in dieser Region. Aber die Mauerteile verschwanden ja nicht so schnell. Am Samstagmorgen, am 18. November 1989, trabte Hanne bis an die Mauer heran, schlupfte durch ein Loch und lief einige Kilometer auf dem betonierten Fahrweg zwischen der Vorder- und Hintermauer – ohne jeden Ausweis in der Tasche.
Da standen aber dann doch zwei Uniformierte kurz vor der Mauerlücke, durch das sie wieder mußte. Was tun? Einen fröhlichen „Guten Morgen“ wünschend rutschte sie hindurch und war veschwunden. Herzklopfen, aber eigentlich umsonst. Doch wer wußte das schon zu diesem Zeitpunkt? Noch schien uns ja allen die Maueröffnung wie ein Wunder.
Die „Junge Welt“ informierte am 17. November 1989 über einen 28 km langen Friedens- und Freundschaftslauf am Sonntag im Tiergarten mit Start und Ziel am Brandenburger Tor, veranstaltet von einem „Sri Chinmoy Marathon Team“. Keine Ahnung wer das war, aber die Veranstaltung lockte.
Gemeinsam mit Wilhelm Lutter aus Wernigerode wollten wir daran teilnehmen. Auf dem Weg dorthin mußten wir über den Grenzübergang Check Point Charly, an dem unsere Trainingstaschen noch von den Ost-Zollbeamten gesichtet und durchwühlt wurden (vermutlich konnten sie nicht anders).
An einigen Stellen der Rundstrecke im Tiergarten saßen kleine Gruppen, die den Lauf mit exotischen, für uns völlig fremden Klängen begleiteten. Noch merkwürdiger war jedoch, dass immer in Mauernähe ein emsiges „Ping, Ping, Ping“ zu hören war. Das ließ sich erst nach dem Lauf aufklären: Die ersten „Mauerspechte“ waren mit Hammer und Meißel zu Gange!
Später, bei Eis und Frost, am 7. Januar: „Erkundungslauf“ zum Humboldthain über die Bernauer Straße. Zwischen Eberswalder Straße und Bernauer standen noch Polizisten und wollten Ausweise sehen. Hannes Finger waren so klamm, dass der Grenzer sich das Dokument aus ihrer Jackentasche selbst rausholen mußte. Das hätte man ihm drei Monate früher zumuten sollen!
Dann der erste Lauf von Potsdam aus über die Glienicker Brücke gen Westen. Ein emotionaler Höhepunkt – für uns überwältigender als das offene Brandenburger Tor. Wie oft war der Blick vom Cecilienhof aus über den Jungfernsee gewandert und der Wunsch geäußert, dort drüben müßte man mal laufen können
Da wurde im Februar 1990 die Idee zu einem kompletten Ablaufen der gesamten Mauerstrecke geboren.
Als Freizeitläufer und nicht unmittelbare Langstreckler konnte das nur in vielen Etappen passieren, zumal alles mit dem Auto (natürlich noch einem Trabant) angesteuert wurde und jeweils der Rückweg abgesichert sein mußte. Das hieß maximal 10 km Vorwärtsstrecke.
Start Bornholmer Straße, an der Nordbahnstrecke entlang zum Nordgraben am Märkischen Viertel und nach Lübars. Die Berlin-Fahne auf dem Berg im Freizeitpark war Jahrzehnte eine „Wegmarke“ für uns.
Gelaufen wurde auf dem ehemaligen Postenweg. Überall war Interessantes zu entdecken – vor allem aber dahinter – heißt im Westteil. Mit irgendeinem Bogen durch das zu entdeckende Gebiet ging es dann zurück.
Teilweise liefen wir gemeinsam, Reimer manchmal auch alleine. Alle ein bis drei Wochen ging es „on course“ – nach seiner systematischen Planung. Zu dieser Zeit stand noch der überwiegende Teil der Mauer, so daß man kaum vom Weg abkommen konnte. Nur, wenn der Rückweg im Bogen gelaufen wurde, schien der Trabant manchmal weg. Was kannten wir uns schon aus zwischen Marienfelde und Osdorf?
Dieses „alle ein bis drei Wochen“ wurde häufig unterbrochen, da wir unsere Standard-Laufveranstaltungen weiter wahrgenommen haben – im Birkenwäldchen, in den Müggelbergen, den Rennsteiglauf, den Jahn-Gedenklauf in Freyburg/Unstrut, den Friedenslauf bzw. dessen Nachfolger und Harz-Gebirgslauf
Hinzu kamen Reimers jährliche „Ausflüge“ auf die Mittelstrecke mit dafür notwendiger Vorbereitungsphase. Gerade im Jahr 1990 sollte es ihm gelingen, bei den letzten DDR-Meisterschaften in Dresden den Titel über 800 m in der AK 45 zu erreichen.
Durch unseren ganz privaten Mauerlauf lernten wir Frohnau, Heiligensee, Staaken im Norden kennen. Wissen seither wie der Eiskeller aussieht, wissen, was es mit dem Entenschnabel auf sich hat. Wir kamen nach Groß Glienicke, Kladow, Sacrow mit der damals noch stark beschädigten Heilandskirche. Wir erschlossen uns Griebnitzsee, Dreilinden, Steinstücken, später noch Lichtenrade, die Rudower Höhe und den Verlauf der Grenze entlang des Teltowkanals.
Und dann natürlich die Abschnitte im Innenstadtbereich wie die Sonnenallee, Oberbaumbrücke, die Eastside-Galerie. Vom Brandenburger Tor, über die Invalidenstraße, die Schwedter Straße bis zur Bornholmer Brücke schloss sich dann der Kreis.
Am 24. 11. 1991 verzeichnet Reimers Trainingstagebuch: Geschafft! – 162 km Mauerlauf.
Reimer und Hannelore Sigbjoernsen
5. Oktober 2014