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22
01
2015

Heinz Uth als Läufer ©privat

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Ein vergessenes Stück Sportgeschichte der Wendezeit. Heinz Uth erinnert sich.

By GRR 0

Mein Bericht über zwei Jahre Sport in der Berliner Wendezeit ist eine Art Gedächtnisprotokoll mit teilweise bewussten, doch sicher auch unbewussten Lücken.

Die Berliner Mauer war gefallen, die Grenze offen für alle und unter den tausenden Bürgern der DDR, die von Ost nach West wanderten, versuchten auch die Sportler unter ihnen, ihre Wege zu finden. Die Spitzensportler agierten dabei mehrheitlich vorsichtig, es gab schließlich noch die jeweils zuständigen Verbände.

Das waren der DLV-West und der DTSB-Ost, und einen Startrechtverlust wollte niemand riskieren. Eine Vereinigung war noch lange nicht in Sicht.

Ich war seit gut 15 Jahren Trainer im Langstreckenbereich des SCC und, seitdem der Marathonlauf auf den Straßen Berlins stattfand, auch hier im internen Zirkel tätig.

Ich kannte mich also ein wenig aus.

Trotzdem überraschte mich ein mir unbekannter Anrufer im Winterhalbjahr 1989/90 mit seiner Bitte um Hilfe. Ich war ihm als äußerst kompetent, zuverlässig und vertrauenswürdig  empfohlen worden, fügte er auf entsprechende Nachfragen hinzu.

Als er sich dann als Horst Heilmann, Vater von Michael, einem der besten Marathonläufer nicht nur der DDR, sondern auch der Welt vorstellte und weitere, mi r bekannte Namen von DDR-Langstreckenläufern nannte, war ich perplex. Zwar hatte ich in meiner bisherigen Trainerlaufbahn einige für Berliner Verhältnisse gute Läufer/innen trainiert, doch noch nie mit Athleten dieser Kategorie in irgendeiner Form zusammengearbeitet.

Wir vereinbarten ein erstes Schnupper-Treffen, das erfreulicherweise für alle Seiten  zufriedenstellend verlief. Weitere folgten und erste Strukturen wurden deutlich.

Zwei  Gruppen um die erfahrenen Trainer-Strategen Horst Heilmann (TSC bzw. Motor Teltow) und Fritz Jahnke (ASK Vorwärts Potsdam) benötigten für ihre derzeitigen und später hinzukommenden Läuferinnen und Läufer in erster Linie einen Manager und einen Ausrüster. Sie wollten als Gruppe zusammenbleiben, sich möglichst keinem Großverein anschließen, aber versuchen, mehrheitlich vom Laufen zu leben.

Da ich vor gut einem halben Jahr gerade einen kleinen Amateur-Verein (LTC Berlin) gegründet hatte, dachte ich: okay, dann schaffst du dir noch ein Profi-Standbein an. Ich ging beruflich auf Teilzeit, konzentrierte mich voll auf den Sport und führte unzählige Gespräche mit Ausrüsterfirmen und Lauf-Veranstaltern. Relativ schnell wurde ich mit dem leider viel zu früh verstorbenen, ehemaligen sehr guten Marathonläufer und nun Reebok-Promotions-Manager  Günter Mielke einig.

Er fand die nachfolgend aufgeführten Aktiven meiner Gruppe äußerst attraktiv:

Gabriele Veith: 10.000m – 32:17 Min.

Birgit Stephan: Marathon – 2:29.19 Min.

Michael Heilmann: Marathon 2:09.03 Std., 8 x unter 2:11 Std.

Stephan Seidemann: Marathon: 2:12.37 Std.

Steffen Dittmann: DDR- Meister Cross/1989

Frank Heine: 10.000m – 27:43 Min.

Uwe Koch: Marathon – 2:14.07 Std.

Axel Krippschock -10.000m 27:57 Min.

Ein Ausrüster-Vertrag und die Einkleidung in München folgten zügig. Der ebenfalls erstellte Leistungs-Katalog, welche Prämien werden bei welchen Veranstaltungen für welche Leistungen gezahlt, erschien uns fair und erfüllbar. Doch ob wir davon würden leben und existieren können, musste die Praxis zeigen.

Das, was den Kader-Athleten in der DDR ohne Probleme möglich war, bereitete nun in der Bundesrepublik nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Nicht alle Namen unserer Athleten waren im Westen bekannt, Entlohnung nicht selbstverständlich. Vieles musste hart verhandelt werden.

Konnten wir diese Anforderungen umsetzen und zu unserer Zufriedenheit lösen?

Die von mir mit den Veranstaltern ausgehandelten Fahrt-  und Übernachtungskosten-Zusagen, sowie die Start-, Antritts- und Prämiengelder waren für einige Leistungsträger ziemlich gut, doch insgesamt für die Gruppe zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.

Den Sport als herrlichste Nebensache zu sehen, war nicht ihr Ding. Das kannten sie (noch) nicht und eine „richtige" Berufsausbildung hatte auch niemand von ihnen. Dazu hatten einige eine Familie, und ein Studium von Marxismus/Leninismus reichte nicht mehr aus.

Trotzdem sollte, bei dramatisch veränderten Lebensbedingungen, äußerst hart trainiert werden. Der internationale Standard musste gehalten bzw. wieder erreicht werden.

Afrikaner und zahlreiche Osteuropäer hatten jetzt Ähnliches im Sinn, kamen in Scharen nach WEST-Deutschland  und wurden zu äußerst starken Konkurrenten.

Mit viel Mut, Elan und ohne Zweifel  gingen wir dennoch das Jahr 1990 an. Planten es als Übergangs-  und Vorbereitungsjahr, denn unser langfristiges Ziel war die Olympiade 1992. Mir schwebte ein System der Konzentration von deutschen Spitzenleuten im Langstreckenlauf vor, ähnlich dem, welches Volker Wagner mit seinen Afrikanern in Detmold praktizierte.

Fast ebenso erfolgreich wie diese, liefen wir in den folgenden Monaten auch auf Deutschlands Straßen.  Siege und vordere Platzierungen bei den Marathonläufen in Hamburg, Berlin und München und bei Stadtläufen von Borgholzhausen, Darmstadt, Braunschweig, Celle u.a. stärkten unser Selbstbewusstsein.

Hinzu kamen Trainingslager und Läufe in Davos und Umgebung, sowie als Krönung zum Saisonende eine Einladung zum Fukuoka-Marathon. Sportlich erfolgreicher konnte das Jahr eigentlich kaum sein. Trotzdem gelang es uns nicht, weitere Sponsoren hinzuziehen, ein Ende des Projekts schien nahe.

Da kam von Günter Mielke Mitte 1990 der entscheidende Hinweis:

„Ein Verein mit dem Namenszug REEBOK würde einiges erleichtern". Das leuchtete ein, doch  konnten wir die Idee nur zum Teil umsetzten. Die Amateurbestimmungen des DLV ließen den Namenszug  eines Sponsors auf einem Vereinstrikot nicht zu. Also nannten wir den Verein „Racing Club Berlin" und gründeten ihn zum 29. Sept. 1990.

Die Wettkampfshirts waren jedoch so konzipiert, dass der Schriftzug REEBOK überdeutlich zu sehen war, und der Werbewert des Sponsors dann doch sehr deutlich zum Ausdruck kam. So gestärkt, gingen wir hochmotiviert ins Jahr 1991. Auf Anhieb siegte das Team des Racing Club bei  den Deutschen-Cross-Meisterschaften, deutlich vor dem Team des SCC Berlin.

So sollte und konnte es weitergehen.

Gerade nun  aber zeigten sich erste Anzeichen von Schwächen in unserer kleinen Gruppe. Nur Steffen Dittmann gehörte einer Nachwuchs-Generation an und war noch nicht ausgepowert. Alle anderen hatten das jahrelange und knochenharte Auswahltraining von DDR-Kaderathleten hinter sich und zeigten gravierende Abnutzungserscheinungen.

Axel  und Frank mussten sich jeweils einer Achillessehnen-Operation unterziehen, eine Wiederkehr zum Leistungssport erschien zweifelhaft. Unsere beiden Frauen schafften den Sprung an die Leistungsspitze aus vielerlei Gründen nicht mehr. Nur Michael und Steffen konnten mit der deutschen und internationalen Spitze mithalten.

Meine Idee, mit den Individualisten einen Teamgeist zu schaffen, der das alles sportlich und finanziell gemeinsam trägt, zerbröselte allmählich. Unser Ausrüster REEBOK hatte ebenfalls mehr Präsenz von uns auf Deutschlands Straßen erwartet, Erfolge im Ausland erschienen ihm zweitrangig.

So konnte auch ein erneutes Frühjahrs-Trainingslager, diesmal  im jugoslawischen Rovinj, die negative Entwicklung für den Verein nicht aufhalten.

Trotz weiterer sportlicher Erfolge beendeten wir im Herbst/Winter des Jahres 1991 unser Experiment. Wir gingen offen und ehrlich damit um und lösten als Erstes  unseren schriftlichen Vertrag mit Reebok auf. Meinen 2 Jahres-Handschlag-Vertrag mit den Athleten beendeten wir ebenfalls aufrecht und ohne Groll.

Eine für mich äußerst intensive und lehrreiche Zeit ging zu Ende.

Ich hatte das Glück, hochkomplizierten und sehr unterschiedlich vom DDR-System geprägten Menschen zu begegnen. Mit ihnen einen Neuanfang in der Bundesrepublik zu erproben, ihnen quasi den Einstieg in den Lauf-Kapitalismus aufzuzeigen, war allen Aufwand wert. Aufgewertet für mich, durch den Zugang zu Trainings-Methoden und Möglichkeiten, die mir bis dahin nur vom Hörensagen bekannt waren.

Ich hatte 2 Jahre meines Lebens investiert, einen Abschnitt, den ich auch heute nicht missen möchte. So nahm eine kleine Episode der Sportwelt in der Wendezeit nach 1989 ein Ende und verschwand, ohne Nachwirkungen und Spuren zu hinterlassen.

Wenn man den Racing Club Berlin heute googelt, findet man keinen Eintrag mehr.

Schade eigentlich!

Trotzdem möchte ich meinen Bericht mit einem Wiglaf Droste-Zitat schließen: „Seltsam, wie schnell man vergisst, dass alles, was du tust, für die Ewigkeit ist."

Heinz Uth

Mehr über Heinz Uth

Heinz Uth – Läufer und Trainer in Berlin – Ein Interview von Sven Kersten (LTC Berlin)

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author: GRR

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