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2014

Grenzüberschreitung 1990 - unter den Augen der Grenzer ©Dr. H. Kremer

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Diplomatische Verwicklungen bei der Übergabe des UNESCO-Sportpreises an den Rennsteiglauf in Ottawa – Dr. Hans-Georg Kremer berichtet

By GRR 0

In unserer Serie "25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN" beziehen wir natürlich auch Veranstaltungen mit ein, die durch den Mauerfall in Berlin am 9. November 1989 und die Öffnung der innerdeutschen Grenze, betroffen waren.

Der Rennsteiglauf in Thüringen gehört dazu. Die Freunde und Organisatoren dieses Laufes entwickelten im Zuge der Öffnung der Grenze viele läuferische Aktivitäten, um sich dieses denkwürdigen Tages bewußt zu sein und zu erinnern.

Im folgenden publizieren einen weiteren Beitrag von Dr. Hans-Georg Kremer, einem der Initiatoren des Rennsteiglaufes.

Horst Milde 

 

Als 1973 drei Jenaer Studenten und ein Assistent zu einem Lauf auf dem Rennsteig aufbrachen, der dann kurz vor Masserberg nach fast 100 km endete und später als 1. GutsMuths-Rennsteiglauf gezählt wurde, konnten sie nicht ahnen, was sich daraus ergeben würde.

Volkssportliche Langstreckenläufe waren in der damaligen DDR noch fast unbekannt und bei den wenigen Straßenläufen kamen im Schnitt nur 100 bis 200 Teilnehmer zusammen. In der Spezialsportart der vier Rennsteiglaufgründer, dem Orientierungslauf lagen die Teilnehmerfelder ebenfalls eher unter 100.

Ganz zu schweigen von der Streckenlänge, die höchsten vom Hörensagen bei Skilangläufen wie dem Wasalauf die Marathondistanz überschritten wurden.

Mit dem Satz: „Die DDR braucht keinen zweiten Wasalauf“ wird auch der DDR-Sportchef, Manfred Ewald immer wieder zitiert, als er nach dem 3. GutsMuths-Rennsteiglauf 1975, zu dem schon über 1000 Männer und Frauen gemeldet hatten, diesen nicht geplanten und in keine Sportstruktur des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) einzuordnenden Lauf den Todesstoß versetzen wollte.

Vordergründig hatte er vor allem Angst um sein großes Ziel, die DDR über ihre olympischen Erfolge zur Sportnation Nr. 1 zu machen. Er hatte aber die Rechnung ohne die Sportler gemacht. Sowohl die Organisatoren, aus Jena und dem Thüringer Wald, ließen sich nicht so einfach an die Leine nehmen, als auch wichtige Funktionäre aus Wissenschaft, Wirtschaft und sogar der SED, hielten den Rennsteiglauf für eine gute Sache oder gingen sogar selber an den Start.

So wunderten sich alle, als wenige Tage nach dem Rennsteiglauf 1977 ein ausgesprochen positiver Artikel in der politisch wichtigsten DDR-Zeitung, dem „Neuen Deutschland“ (ND) erschien. Hintergrund war, dass das mächtige SED ZK-Mitglied für Agitation und Propaganda zur Kur war und sein Kurarzt, der erfolgreich am Rennsteiglauf teilgenommen hatte, seinen einflussreichen Patienten fragte, warum über die größte volkssportliche Laufveranstaltung der DDR nichts im ND steht. Ein Anruf beim Chefredakteur genügte, um einen Artikel unter dem Titel  „Marathon am Rennsteig“ zu veröffentlichen.

Es gab sogar mit Alfred Rode (Wismut) ein SED ZK-Mitglied, welches regelmäßig aber ohne großes Aufsehen selber auf dem Rennsteig mitlief, ebenso wie viele Professoren, Direktoren und Parteifunktionäre. Dazu gehörte auch Roland Wötzel aus Leipzig, der im Herbst 1989 als 1. Sekretär der SED in Leipzig bekannt wurde, als er mit Kurt Masuhr einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit unterschrieb.

Als Manfred Ewald 1988 seinen Posten an Klaus Eichler abgeben musste, gehörte es zu dessen ersten Amtshandlungen, dass er den Start des Rennsteiglaufs in Neuhaus vollzog. In dieser Zeit wurde von einflussreichen Rennsteiglaufteilnehmern auch der Antrag auf den Weg gebracht, den Rennsteiglauf mit der „welthöchsten“ Sportmedaille, dem UNESCO-Sportpreis auszuzeichnen.

1990 wurde diesem Antrag stattgegeben und am 10. Oktober erfolgte die Auszeichnung im kanadischen Ottawa. Die angereisten Rennsteiglauforganisatoren Volker Kittel und Dr. Hans-Georg Kremer wurden 30 Minuten vor der Überreichung, der Festakt hatte schon begonnen, vom BRD-Botschafter informiert, dass sie den Preis nicht entgegen nehmen dürften, da auf der Urkunde als Herkunftsland „République démocratique Allemande“ stand.

Die DDR hatte am 3. Oktober 1989 aufgehört zu existieren. Selbstbewusst, wie so oft bei der Organisation des Laufs, gingen beide nach Aufruf trotzdem, allerdings ohne „offizielle“ Begleitung, nach vorn und nahmen den verdienten Preis entgegen.

Beim anschließenden Pressefoto war der Botschafter und alle übrigen anwesenden Botschaftsmitarbeiter dann wieder zur Stelle.

Dr. Hans-Georg Kremer  

Themengleich:

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: 4. Gesamtdeutscher Rennsteiglauf am 4. Oktober 2014 – Dr. Hans-Georg Kremer berichtet

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REMEMBER, REMEMBER THE 9th OF NOVEMBER!

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25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Familie Roland Winkler und die Postkarte von Sabine vom 4. November 1989 – Teil 4

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Rainer Boßdorf und seine Grenzöffnungslaufgeschichten – Teil 3

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Gerhard Thiel und sein 9. November 1989 in der Berliner Staatsoper – Teil 2

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Reimer und Hanne auf dem Mauerweg rund um Berlin

  

 

 

author: GRR

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