Festschrift zum 100-jährigen Jubläum dxer Spiele von London 1908 ©Sportmuseum Berlin – AIMS Marathon-Museum of Running
2012: Zum dritten Male Olympia in London
Ein Rückblick auf die Olympischen Spiele und deren Rahmenbedingungen, die bereits vor 103 bzw. 63 Jahren in der Weltstadt an der Themse stattfanden.
In diesen Wochen wird in den Medien regelmäßig über die letzten baulichen und sporttechnischen Vorbereitungen für die Olympischen Sommerspiele des kommenden Jahres in der britischen Hauptstadt berichtet, über die Ergebnisse der zahlreichen Testwettkämpfe, über die Sportlerinnen und Sportler, die die Olympiaqualifikation bereits geschafft haben oder noch darum kämpfen, über die Einkleidung der deutschen Mannschaft und auch über die in der Olympiastadt nach den Unruhen dieses Sommers befürchteten Ausschreitungen. Kaum erwähnt in allen diesen Beiträgen wird jedoch, dass London die erste Stadt ist, in der zum dritten Male nach 1908 und 1948 Olympische Spiele stattfinden werden.
Seit sieben Jahren bereitet Sebastian Coe, einst einer der weltbesten Mittelstreckler und zweimaliger Olympiasieger über 1.500 Meter, als Chef des Londoner Organisationskomitees mit großem Ehrgeiz die Spiele in der britischen Metropole vor und hat als heute hoher lAAF-Funktionär natürlich das Ziel, „die besten Leichtathletik-Wettkämpfe aller Zeiten auf die Beine zu stellen“ und „das Beste vom Besten früherer Spiele“ zu zeigen. Interessant ist aber auch ein Rückblick auf die Olympischen Spiele und deren Rahmenbedingungen die vor 103 bzw. 63 Jahren in der Weltstadt an der Themse stattfanden.
1908: Fundamente für ein einheitliches Regelwerk des Sports
In London waren es 1908 die ersten olympischen Wettkämpfe im Mutterland des modernen Sports. Die Briten waren eingesprungen, als sich herausstellte, dass die italienischen Sportführer, Politiker und Organisatoren nicht in der Lage waren, dem Wunsche Baron de Coubertins zu entsprechen und die vierten Olympischen Spiele der Neuzeit in Rom, der Hauptstadt der Antike, durchzuführen. Aber auch diesmal musste eine Ausstellung den Rahmen für die sportlichen Spiele geben: Die französisch-britische Ausstellung in London sicherte die finanzielle Basis für die olympischen Wettbewerbe.
Das Londoner Organisationskomitee setzte die jeweiligen englischen Sportverbände als verantwortliche Organisatoren ihrer Sportdisziplinen ein, gab für jede Sportart ein Regelbuch mit den Wettkampfbedingungen heraus und akzeptierte sogar die Anwendung des metrischen Systems für die einzelnen Strecken. Mit der Sammlung der vorhandenen Wettkampfbestimmungen wurden so im internationalen Sport endlich die Fundamente für ein einheitliches Regelwerk geschaffen, ohne das ein internationaler Sportverkehr in seiner heutigen Form überhaupt nicht möglich gewesen wäre.
Auch in London wurde nochmals auf die zeitliche Einheit der Spiele verzichtet und die Sportarten in drei Gruppen aufgeteilt. In der ersten Gruppe waren Hallentennis, Jeu de Paume, Racquets, Lacrosse, Polo und Lawntennis zusammengefasst. Diese Wettkämpfe wickelten sich von Anfang Mai bis Ende Oktober ab. In der zweiten Gruppe waren die eigentlichen olympischen Sportarten wie Leichtathletik, Schwimmen, Radfahren, Rudern, Fechten, Turnen, Schießen, Bogenschießen, Ringen und Segeln vereint. Diese Wettkämpfe begannen nach der olympischen Eröffnungsfeier, die in Anwesenheit von König Eduard VII. mit großem Zeremoniell am 13. Juli stattfand, und endeten mit der Schlussfeier am 25. Juli. Zur dritten Gruppe schließlich gehörten Fußball, Rugby, Hockey, Boxen und Eiskunstlaufen. Diese Kämpfe wurden dann erst im Oktober ausgetragen.
Die Spiele von London brachten einen Teilnehmerrekord: 2.056 Sportler aus 22 Ländern gingen in 24 Sportarten an den Start, darunter auch eine mit 106 Aktiven recht große deutsche Mannschaft, die allerdings nur drei Gold-, fünf Silber- und drei Bronzemedaillen gewinnen konnte. Man habe, wie Carl Diem schrieb, sich nicht rechtzeitig auf das Londoner Klima und die ungewohnte englische Küche einstellen können. Auch nahm die Mannschaft der Deutschen Turnerschaft nicht an den offiziellen Wettkämpfen teil, sondern zeigte ihr Können nur bei einer Schauvorführung. Austragungsort der Londoner Spiele war für die meisten Sportarten das White-City-Stadion in der Nähe des Ausstellungsgeländes am Shepherd's Bush mit einer Aschenbahn von 535 Metern, darum herum eine Radrennbahn von 603 Metern und im Innenraum einem Schwimmbecken von 100 x 15 Metern mit einem abklappbaren Sprungturm, für unsere heutigen Verhältnisse also ein Monstrum, in dem die Zuschauer auf den entfernteren Rängen ein Fernglas brauchten.
In der Leichtathletik kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen den amerikanischen und britischen Sportlern, die fast zur Abreise des USA-Teams geführt hätten. Dreimaliger Goldmedaillengewinner war der amerikanische Mittelstreckler Melvin Sheppard, der nicht nur die 800 Meter in Weltrekord und die 1.500 Meter mit olympischem Rekord gewann, sondern als Schlussläufer auch den Sieg der USA in der Olympischen Staffel (200, 400, 800 Meter) sicherte. Im Marathonlauf kam es zu dem in der Sportgeschichte bekannten tragischen Zwischenfall, dass der in Führung liegende Italiener Dorando kurz vor dem Ziel aus Erschöpfung zusammenbrach, mit Hilfe von Kampfrichtern über die Ziellinie geschleppt wurde und dann zwangsläufig vom Kampfgericht disqualifiziert werden musste.
Die Turnwettkämpfe litten unter den miserablen Leistungen des rein britischen Kampfgerichts und – da sie im Freien ausgetragen wurden – auch unter dem schlechten Wetter. In den Schießsport-Wettbewerben waren die gastgebenden britischen Schützen am stärksten und holten sich die meisten Goldmedaillen. In der schwedischen Mannschaft, die das Schießen auf den laufenden Hirsch gewann, wurden Vater Oscar und Sohn Alfred Swahn gemeinsame Olympiasieger.
Im Mutterland des Fußballsports gab es zum erstenmal auch ein richtiges Olympisches Fußballturnier mit sechs Mannschaften, das mit größerer Routine und vor heimischem Publikum das britische Team gewann. Und auf den Plätzen von Wimbledon gab es vom 11. bis 15. Juli das erste olympische Tennisturnier, das diesen Namen auch verdiente. Immerhin nahmen bereits 50 Spielerinnen und Spieler aus zehn Ländern teil.
Sehr gut besetzt war mit 138 Startern aus 14 Nationen auch das Fechtturnier, lediglich die 1904 in St. Louis noch so erfolgreichen Kubaner und die Amerikaner fehlten. So wurden die Goldmedaillen in den vier Wettbewerben zu einer Beute der Franzosen und Ungarn. In den fünf Boxklassen gab es ausschließlich britische Erfolge. Im Ringen waren erstmals die Stilarten Griechisch-römisch und Freistil getrennt ausgeschrieben worden, dafür war in der Schwerathletik auf Gewichtheben verzichtet worden.
Die Medaillenwertung sah schließlich Großbritannien mit 56 Gold-, 50 Silber- und 39 Bronzemedaillen in Führung vor den USA (23/12/12) und Schweden (8/6/11).
Die Spiele des Jahres 1908 waren zwar im Ganzen gesehen nicht besonders glanzvoll, führten anschließend in Frankreich und in den USA wegen mancher Zwischenfälle sogar zu erheblicher Kritik und lösten auch noch eine politische britisch-amerikanische Verstimmung aus. Sie streiften aber viel Pathos und manche verschwommenen Illusionen ab und wurden damit der Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts gerechter als die vorangegangenen Veranstaltungen.
1948: Spiele des Mangels in einer Trümmerstadt
London war nach 1908 zum zweiten Male bereits für 1944 für die Spiele der XIII. Olympiade als Austragungsort vorgesehen worden, doch konnte dieses Fest der Sportler ebenso wie das von 1940 in Tokio wegen des Zweiten Weltkrieges nicht stattfinden, in dem auch hunderte von Olympiateilnehmern aus vielen Ländern ihr Leben lassen mussten. Im September 1946 wurde bei der ersten Session des IOC nach dem Krieg der Schwede Sigfrid Edström als Nachfolger des verstorbenen belgischen Grafen Baillet-Latour zum neuen IOC-Präsidenten gewählt. Bereits ein halbes Jahr vorher war London durch eine schriftliche Abstimmung innerhalb des IOC die Ausrichtung der Spiele von 1948 übertragen worden.
Drei Jahre nach dem Ende des Krieges waren es Spiele des Mangels in der durch deutsche Luftangriffe schwer zerstörten britischen Metropole, wo Wohnungsnot und Lebensmittelrationierung herrschten. Es bedurfte großen Einsatzes sowohl der Bevölkerung und der Dienststellen des gastgebenden Landes wie auch verständnisvoller Bescheidenheit und Rücksichtnahme der Sportler aus immerhin 59 teilnehmenden Ländern, um die Schwierigkeiten vielfacher Art gemeinsam zu überwinden. Die Unterkunft der Athleten erfolgte in RAF-Baracken in Uxbridge und einem Militär-Camp im Richmond Park, die Verpflegung durch Sonderrationen für Schwerarbeiter, aber auch durch Stiftungen aus Teilnehmerländern und Selbstversorgung durch mitgebrachte Lebensmittel. Auch viele Schulen waren zu Unterkünften und Verpflegungsstätten umgerüstet worden.
Insgesamt 4.099 Sportler, davon 385 Frauen, nahmen vom 30. Juli bis 7. August an den Wettkämpfen in 20 Sportarten teil, und obwohl es kaum Zeitungsberichte oder andere Hinweise auf das sportliche Großereignis gab, war das Empire-Stadium in Wembley am 29. Juli bis auf den letzten Platz gefüllt, als der britische König die Spiele eröffnete. Als einziger deutscher Gast saß Carl Diem in der Ehrenloge, denn seine Idee des Fackellaufs mit dem Olympischen Feuer von Griechenland in das Veranstalterland war von den Briten aufgegriffen und fortgesetzt worden.
In der Leichtathletik waren es die Spiele der „fliegenden Hausfrau“ Fanny Blankers-Koen aus den Niederlanden, die als Mutter von zwei Kindern vier Goldmedaillen (100, 200, 80 Meter Hürden und 4 x 100 Meter) gewann. Über 10.000 Meter ging der Stern der „tschechischen Lokomotive“ Emil Zatopek auf, und „König der Athleten“ wurde der erst 17jährige Zehnkämpfer Bob Mathias aus den USA, eine sportliche Ausnahmeerscheinung der Nachkriegszeit.
Nur Unteroffizier? Frankreichs Reitteam wird disqualifiziert
Heute unvorstellbar eine Entscheidung im Reitsport: Die Mannschaftswertung in der Dressur gewann die schwedische Mannschaft klar mit 1.366 Punkten vor Frankreich (1.269) und den USA (1.256), doch wurde das siegreiche Team ein Jahr später disqualifiziert, weil der Reiter Persson nur Unteroffizier war. Die damaligen Regeln des Internationalen Reitsportverbandes (FEI) forderten von den Teilnehmern an den Reitsportwettbewerben einen Offiziersstatus. So wurde Frankreichs Mannschaft zum Sieger erklärt; nach dem Londoner Eklat schaffte die FEI diesen unsportlichen Paragraphen aber ab.
In London wurden letztmalig Kunstwettbewerbe durchgeführt und Medaillen in der Baukunst, Literatur, Musik, Malerei und Grafik sowie in der Bildhauerkunst vergeben. Obwohl sich 300 Künstler aus 25 Ländern an den Wettbewerben beteiligt hatten, war es nicht gelungen, Sport und Kunst im olympischen Rahmen zu vereinen. So hatte sich eine Lieblingsidee Coubertins als nicht durchführbar erwiesen.
In der sportlichen Medaillenwertung lagen ein weiteres Mal die USA mit 38 Gold-, 27 Silber- und 19 Bronzemedaillen vorn, gefolgt von Schweden (17/11/18) und Frankreich (11/6/15).
Als kleinste Teams waren Malta, Panama, Syrien und Venezuela mit je einem Athleten vertreten. Japan und Deutschland waren als Kriegsschuldländer zu den Spielen von 1948 nicht eingeladen worden und konnten erst ab 1952 wieder am Olympischen Wettstreit teilnehmen.
Quelle: DOSB/Friedrich Mevert