Eine "Halbzeitbilanz" der internationalen Laufszene vor den großen Herbstereignissen
20 Jahre Deutsche Einheit – Der 17. Berlin-Marathon am 30. September 1990 – Der „Wiedervereinigungsmarathon“ drei Tage vor der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 – Ein Rückblick III. Die Nordafrikaner sind Spitze auf der Bahn und im Gelände – Die Europäer auf der Straße – Wilfried Raatz
20 Jahre Deutsche Einheit sind am 3. Oktober 2010 in Berlin und in vielen anderen Städten Deutschlands feierlich begangen worden. Am 30. September 1990 – drei Tage vor der Wiedervereinigung – gab es schon die "sportliche Wiedervereinigung" auf den Straßen Berlins, als der BERLIN-MARATHON zum ersten Mal seit 45 Jahren seine Laufstrecke wieder durch das Brandenburger Tor von West nach Ost und über den Potsdamer Platz zurück in den Westteil legen konnte.
Dieser 17. BERLIN-Marathon war mit seiner Rekordbeteiligung von 25.000 Läufern und Läufern aus aller Welt ein sportliches "Jahrhundertereignis" und ein Medienerereignis zudem. Aus dem Programm- und Ergebnisheft des BERLIN-MARATHON von 1990 werden hier – in loser Reihenfolge – Beiträge übernommen, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben und gleichzeitig die Erinnerung an eine einmalige Laufveranstaltung in unser Gedächtnis zurückholen sollen.
Horst Milde
Mögen sie Khalid Skah, Hammou Boutayeb, Mohammed Issangar oder Nourredine Morcelli heißen, die Nordafrikaner sind derzeit (neben den traditionell angestammten Kenianern) die stärksten Bahnläufer weltweit, nachdem Khalid Skah in Aix-les-Bains als Cross-Weltmeister zum Angriff bliesen.
Die Europäer haben in der internationalen Laufszene verlorenes Terrain wettmachen können. Auf der Marathondistanz läßt sich sogar mit Fug und Recht behaupten, sie seien die Gewinner des Marathon-Frühlings 1990. Allen voran die wiedererstarkte Rosa Mota, die ihrem Auftaktsieg Ende Januar in Osaka (2:27:47) drei Monatespäter einen weiteren Triumph beim traditionsreichen Boston-Marathon in 2:25:24 Stunden folgen ließ.
Das männliche Gegenstück hierzu ist der Olympiasieger und Europameister Gelindo Bordin, der in Boston allen Tempoverschärfungen der Afrikaner aus dem Weg ging und in der aktuellen Weltbestzeit der Saison von 2:08:19 Stunden Erfolg hatte.
Doch die Wiederkehr der Europäer ist nicht allein an Rosa Mota und Gelindo Bordin festzumachen. Mit dem Namen wie der London-Ersten Wanda Panfil, der Potsdamerin Uta Pippig und mit Kamila Gradusz einer weiteren Polin, kommen gleich vier europäische Läuferinnen auf die ersten zehn Weltbestenplätze. Rosa gewann Osaka und Boston, Wanda Nagoya und London, dazu Spitzenplätze für Uta und Kamila in
Boston, für Ekaterina Khramenkova und Valentina Jegorova in London und Osaka, nicht zu vergessen der Sieg Carla Beurskens (vor Iris Biba) in Rotterdam.
Entsprechend sieht die europäische Halbzeitbilanz unter den zwanzig weltbesten Marathonläuferinnen aus: Die elf (!) europäischen Ränge verteilen sich auf dreimal sowjetische Läuferinnen, jeweils zwei aus Polen, der Bundesrepublik und Portugal, zudem jeweils eine aus Dänemark und den Niederlanden.
Erstaunlich sind die vier Notierungen der US-Frauen. Neben der Londen-Zweiten Francis Smith-Larrieu sind dies Lisa Weidenbach, die gebürtige Mexikanerin Maria Trujillo und Kim Jones. Jeweils zwei Ränge verbleiben für China und Japan. Nicht zu vergessen hierbei freilich die Australierin Lisa Martin-Ondiecki mit ihrer überragenden 2:25:28 Stundenzeit bei den Commonwealth-Games in Auckland. Sie sieht nun Mutterfreuden entgegen und wird sich (ähnlich wie Ingrid Kristiansen) frühestens 1991 wieder in die Laufszene zurückmelden.
Erfreulich nimmt sich die Bilanz für die deutschen Marathonläuferinnen aus: Neben Uta Pippig und Iris Biba, die mit der sechzehntschnellsten Zeit geführt wird, finden sich erfreulicherweise Kerstin Preßler (27), Birgit Stephan (DDR, 32), die frühere Boston-Marathon Siegerin und inzwischen Gewinnerin aller großen bundesdeutschen Städte-Marathonläufe in Frankfurt, Hamburg, Berlin und in diesem Frühjahr auch München, Charlotte Teske, die weltweit die derzeit schnellste "Masters-Läuferin" ist. Ergänzt wird die Liste der Plazierungen der Deutschen aus Ost und West mit Annette Fincke auf Position 49.
Bei den Männern ist zunächst – trotz des überraschenden Erfolges des 33-jährigen Gidamis Shahanga in Wien mit 2:09:28 Stunden – der schwache Auftritt der Afrikaner auffällig. Der Weltbeste Belayneh Densimo wurde zwar in Tokio Dritter (2:11:32), gab aber im Poker um das größte Antrittsgeld in London frühzeitig auf, Djibutis Ahmet Salah beendete in undiskutablen 2:17:01 in Rotterdam als Siebter das Rennen, Dereje Nedi schaffte
gar nur Rang achtzehn in London.
Im Schatten Gelindo Bordins stand in Boston der letztjährige New York-Sieger Juma Ikangaa, der die Saison 1990 mit einem elften Rang bei den Commonwealth-Games eröffnet hatte. In Rotterdam mußte sich Abebe Mekonnen dem Japaner Hiromi Taniguchi beugen. Während die Afrikaner in Rotterdam über die Hitze klagten, war es in London, als Allister Hutton vor dem Italiener Salvatore Bettiol und dem Spanier Juan Romera gewann, der Regen.
Neunmal sind die Europäer in der Weltrangliste der zwanzig schnellsten Marathonläufer vertreten, die Afrikaner lediglich viermal mit Douglas Wakiihuri und den drei Tansanianern.
Neben den etablierten Shahanga und Ikangaa der 24jährigen Simon Naali schi möglicherweise deren Nach folger, vorausgesetzt, ein Mann wie Alfredo Shahanga verpulvert weiterhin seine gewiß vorhandenen Talente bei unzähligen Straßenrennen. Von den Europäern überrascht vor allem die bemerkenswerte Steigerung des Polen Jan Huruk als Zweiter des Wien-Marathons auf die Landesrekordzeit von 2:10:16 Stunden die dem 30-jährigen Polen Rang fünf weltweit einbringt aber auch die Notierungen der beiden Iren Michael O'Reilly und des Altmeisters John Treacy.
Der einstige Weltklasseläufer Jörg Peter unterstrich bei seinem Comeback in Hamburg seine Ansprüche auf internationalem Parkett (Rang 22), weiterhin wußte er beim Hanse-Marathon den Beweis zu bestätigen, daß die Norddeutschen eine anerkannt schnelle Strecke besitzen. Während die DDR neben Peter auch noch mit dem London-Achten Rainer Wachenbrunner (30) und Michael Heilmann (54) in bemerkenswerter Breite vertreten sind, stimmt nach dem verletzungsbedingten Pausieren des früheren Europameisterschaftsdritten Herbert Steffny der 61. Rang von Martin Grüning, immerhin Dritter in Houston, nachdenklich.
Wilfried Raatz
Das BERLIN-MARATHON Programm 1990: