Kenenisa Bekele im „Selfie-Interview“ mit einem TV-Sender aus dem Emirat. ©Helmut Winter
16. Standard Chartered Dubai Marathon: Nur Kenenisa Bekeles Ausscheiden trübte die äthiopische Bilanz – Helmut Winter berichtet
Am vorletzten Freitag ging die 16. Ausgabe des Standard Chartered Dubai Marathons über die Bühne, eine Veranstaltung die sich längst in der Spitze der internationalen Marathonszene etabliert hat.
Und wie schon vielfach berichtet wurde, konnte auch die Veranstaltung am 23. Januar die hoch gesteckten Erwartungen erfüllen, genauer müsste man aber anmerken: „fast".
Der Superstar gab auf
Denn der mit großer Spannung erwartete Auftritt eines der Superstars der Szene, dem vielfachen Weltrekordler, Weltmeister und Olympiasieger Kenenisa Bekele aus Äthiopien, endete mit einer Enttäuschung. Als schon sein Manager Jos Hermens und sein Trainer Renato Canova kurz vor der 29 km-Marke auf das beabsichtigte schnelle Finale hofften, fiel Bekele völlig unerwartet mit einer Oberschenkelzerrung schnell zurück und musste das Rennen nach wenigen weiteren Kilometern aufgeben.
Bekele stieg danach zu Manager Hermens (plus Fahrer und ohne Sturzhelm) aufs Motorrad und musste miterleben, wie seine Landsleute den Sieg ohne ihn ausmachten. Für diese kam der Ausstieg des Überfavoriten mindestens genau so überraschend wie für alle Betrachter dieser Geschehnisse und führte nach einer kurzen Tempospritze, nachdem man Bekeles Nachlassen realisiert hatte, zu einem Taktieren, das am Ende wertvolle Zeit kostete.
Denn nun hatten plötzlich Läufer eine Chance, die zuvor nicht von einem Sieg zu träumen wagten. In Dubai gibt es (angeblich) keine Antrittsgelder, dafür aber üppige Preisgelder („world richest marathon"), 200.000 US$ gibt es für den Sieger. Auf äthiopische Verhältnisse projiziert steigert sich dieser Preis um ein Vielfaches.
Es war vor allem auch der junge Lemi Berhanu Hayle, der kaum Tempo machte und am Ende die besten Reserven hatte. In der Schlussphase hatte sich die fast 20-köpfige Gruppe bei 25 km auf ihn und den Dubai-Sieger von 2013, Lelisa Desisa, reduziert. Desisa hatte sich durch Siege in Boston 2013 und zweite Plätze bei der WM in Moskau 2013 sowie New York 2014 in die Weltspitze des Männermarathons gelaufen. Diesmal fand er seinen Meister in seinem Landsmann, dem er auf dem letzten km nicht mehr folgen konnte.
In 2:44 lief Hayle den Abschnitt von 41 km nach 42 km und gewann sicher in 2:05:28. Eigentlich ist das eine Zeit internationaler Klasse, aber in Dubai sind die Ansprüche hoch, die Siegerzeiten der letzten drei Jahre lagen alle unter 2:05 Stunden, incl. dem Streckenrekord von Ayele Abshero aus dem Jahr 2012. Die Tradition eines jungen Nobody als Sieger setzte man allerdings fort, Hayle hatte auf Grund seiner Vorleistung als Sieger des Zürich Marathons 2014 in 2:10:40 nur die Startnummer „30".
Insgesamt erreichte die Leistungsbilanz in diesem Jahr auch in der Breite nicht das Niveau der Vorjahre, aber 10 Läufer unter 2:10 Stunden sind durchaus hochklassig. Für den 10. Platz gab es mit 8000 US$ das letzte Preisgeld. 16 Läufer unterboten 2:13 Stunden. Traditionsgemäß ist das Läuferland Kenia in Dubai schwach vertreten, der beste Kenianer Julius Karinga landete in 2:12:27 auf Platz 15.
Der Verlauf des Rennens ähnelte im ersten Drittel den großen Rennen im Herbst 2014, im weiteren Ablauf reiht sich Dubai 2015 etwa zwischen Chicago und Frankfurt 2014 ein. Dies ist auch in der Grafik der Projektionen als Funktion der Streckenlänge zu ersehen. Im Zehnermittel bei den Männern von 2:04:46 bleibt man auf Platz 3 hinter Berlin und Chicago.
Nach den Ankündigungen im Vorfeld zu Bekeles Start war sogar vom Weltrekord die Rede, als Minimum galten der Streckenrekord (2:04:23) oder Haile Gebrselassies äthiopischer Rekord (2:03:59). Nach den Ereignissen im Vorfeld kam es dann aber so, wie man fast befürchten musste. Bekele plagten Achillessehnenbeschwerden, die erst in den beiden Wochen vor Dubai ein Training auf Höchstniveau zuließen.
Sein aktueller Trainer, der Laufguru Canova, hatte deshalb die Taktik gewählt, „moderat" in über 62 Minuten für die erste Hälfte anzugehen, ein Weltrekord war damit schon nicht mehr zu realisieren. Bei den für Dubai idealen Bedingungen (14°C, um 50% Luftfeuchte) konnten aber die Tempomacher selbst diese Vorgaben kaum umsetzen. So sehr Manager und Lauflegende Jos Hermens vom Motorrad die Athleten auch antrieb, wurde die Hälfte in „nur" 1:02:19 zurückgelegt, da wurde es sogar für einen Streckenrekord eng.
Als Bekele dann nach 1:24 Stunden Probleme signalisierte, war es mit den Topzeiten vorbei. Dabei hatte es kurz zuvor noch bestens ausgesehen, selbst Trainer Canova war sehr zuversichtlich hinsichtlich der Schlussphase. Aber auch er wurde von den Realitäten eingeholt.
Und die sind für Kenenisa durchaus bitter. Nach dem für seine Ansprüche enttäuschendem Abschneiden beim Chicago Marathon im Oktober 2014 mit Platz 4, sollte Dubai die Wende bringen. Es kam aber noch schlimmer: 2:05:03 (Paris 2014), 2:05:51 (Chicago 2014), DNF (Dubai 2015) ist keine Serie, die dem Superstar die Fahrkarte zum Olympischen Marathon in Rio im Sommer 2016 sichert. Schon gar nicht angesichts der beinharten Konkurrenz im eigenen Land.
Sein Start beim London Marathon Ende April wird er sicher absagen und schnell sich in die Hände kompetenter Ärzte begeben. Erst nach den Sommermonaten dürfte sich dann zeigen, ob ihn ein ähnliches Schicksal ereilt wie seinem großen Vorbild Haile Gebrselassie – der übrigens als Gast in Dubai gleichfalls vor Ort war – , niemals eine Medaille im Marathon bei Olympia gewonnen zu haben.
Bei aller Niedergeschlagenheit deutete er in Dubai durchaus an, über welches Potential er auch auf den Überdistanzen hat. So waren ihm schon kurz nach seinem Ausscheiden kaum Spuren einer Anstrengung anzusehen. Aber eng werden dürfte es für ihn schon und weitgehend von den medizinischen Entwicklungen abhängen.
Die Frauen stahlen den Männern die Show
Durch den Fokus auf die Ambitionen bei den Männern geriet zunächst das Frauenrennen etwas ins Hintertreffen, am Ende war der Verlauf und die Ereignisse bei den Frauen sogar spektakulärer als bei den Herren.
Dies zeigte sich schon auf den ersten Kilometern, wo die Äthiopierin Tigist Tufa (startet nun für Bahrain) für Furore sorgte. Mit km-Abschnitten zwischen 3:12 und 3:18 lag die gute Frau schnell weit vor der hochklassigen Konkurrenz mit Kurs auf 2:18 Stunden. Tigist hatte sich erst sehr spät für Dubai entschieden und trug somit auch keine Startnummer der Elite. Eine anfängliche Irritation mutierte dann spätestens beim Halbmarathon nach 68:55 Minuten in Erstaunen, sie war auf Kurs zu einer Fabelzeit!
Die große Gruppe der Verfolgerinnen, geführt von drei (männlichen) Tempomachern, passierte den Halbmarathon nach 70:15 Minuten. Man lag also 1:20 zurück und trotzdem auch noch im Bereich von 2:20 Stunden. Spätestens nun wurde aber klar, wer da vorne vorweglief, denn Tufa hatte im November 2014 bereits für den New York City Marathon gemeldet, war dann aber sehr kurzfristig (das scheint ihre Art zu sein) nach Shanghai geflogen, um dort in hochklassigen 2:21:52 Streckenrekord zu laufen.
Diese Frau hatte somit ein großes Potential, lief aber völlig allein, überholte dabei immer wieder schwächelnde Männer und war bei 25 km in tollen 1:21:55 noch auf Kurs zu einer Zeit um 2:18 Stunden. Ihre 5km-Abschnitte waren beeindruckend konstant (16:20, 16:20, 16:23, 16:20, 26:32). Und dies in einem Sololauf, dabei schaute sie immerzu auf ihre große Uhr am Handgelenk.
Nach 30 km (1:38:47) bahnte sich aber das Drama an, Tufa verpasste ihr Getränk und musste ihrem Höllentempo Tribut zollen. Hätte man einen der Tempomacher zur Unterstützung nach vorne beordert, wäre das sicher sehr hilfreich gewesen. So führten diese das Frauenfeld nach gut 34 km wieder an Tufu heran, stiegen danach aber bald alle aus, wie auch eine völlig erschöpfte Tufa nach 38 km. Schade, dass ihr Mut nicht belohnt wurde. In einem auf sie zugeschnittenen Rennen ist Tufa ohne Frage eine Kandidatin für Zeiten deutlich unter 2:20 Stunden.
Das Frauenrennen war nun wieder offen, wobei sich nach 35 km (1:56:07) schnell drei Läuferinnen absetzen konnten: Aselefech Mergia (ETH) und die beiden Kenianerinnen Gladys Cherono und Lucy Kabuu.
An der Wasserstelle bei 40 km (2:13:00) lief die zweifache Dubai-Siegerin Mergia durch und nur die amtierende Halbmarathon-Weltmeisterin und Debütantin Cherono stellte den Anschluss wieder her. Es kam zu einem spannenden Finish auf der Umm Suqeim Road, das Mergia in 2:20:02 für sich entschied, knapp dahinter in 2:20:03 Cherono in einem glänzenden Debüt.
Überhaupt scheint Dubai ein ideales Pflaster für Debütanten zu sein: Bei den Männern wurden 4 der 5 schnellsten Premieren in Dubai erzielt, bei den Frauen sind das immerhin 3.
Cheronos Zeit war nach Radcliffe (2:18:56) und Kabuu (2:19:34) das drittschnellste Debüt der Geschichte. Und diese Lucy Kabuu wurde Dritte nach 2:20:21, Shure Demissie (ETH) schaffte es mit 2:20:59 auch noch unter 2:21 Stunden. Für die Siegerin Mergia war das bereits der dritte Sieg in Dubai und nach einer zweijährigen Babypause ein tolles Comeback. Entsprechend groß war die Freude bei ihr und der kleinen Tochter, die sie stolz den Fotografen präsentierte.
Somit gab es ein tolles Ergebnis auch in der Breite, welches 12 Läuferinnen mit Zeiten unter 2:25 Stunden abrundeten. Diese Resultate haben Dubai im Zehnermittel bei den Frauen nach vorne gebracht, nach Spitzenreiter London (2:18:59) ist man mit 2:20:17 Berlin (2:20:05) und Chicago (2:20:11) ganz dicht auf den Fersen und gehört somit uneingeschränkt zur Weltspitze. (Anmerkung: Chicago dürfte in Kürze die Resultate von Shobukhova und Jeptoo streichen, dann liegt Dubai bei Männern und Frauen auf Position 3.)
Die Veranstaltung hat sich etabliert
Aber nicht nur leistungssportlich hat sich der Dubai Marathon fest etabliert. Auch die Teilnehmerzahlen gehen weiter nach oben, wobei man aber stets gut beraten ist, sich die Finisherzahlen anstelle geschönter Teilnehmerzahlen anzuschauen. Insgesamt dürften im Emirat sicher 25.000 Aktive auf den Beinen gewesen sein, wobei insbesondere die Teilnehmerzahl beim 4 km Fun Run zu explodieren scheint, genaue Zahlen über diesen Lauf liegen allerdings nicht vor.
Beim Marathon ging die Zahl der Finisher weiter zurück, man liegt nun unter 2000.
Diese Zahl wäre sicher nur zu steigern, wenn man verstärkt auf internationaler Skala den Lauf bewirbt. Ein gesteigertes Interesse scheinen die Organisatoren daran aber nicht zu haben. Dafür war zu erfahren, dass in Kürze eine weitere Großveranstaltung in Sachen Laufsport im Emirat über die Bühne gehen soll. Zuschauer gibt es an der Strecke so gut wie keine, dafür schlägt die Stimmung im Start- und Zielbereich durch die zahlreiche äthiopische Kolonie jeden anderen Marathon, weltweit!
Die Berichterstattung in bewegten Bildern war erstmals in die Hände von IEC gelegt und deutlich professioneller als in allen Vorjahren. Bildführung und Kameraeinstellungen waren ausgezeichnet, beim Erfassen des Rennverlaufs besteht noch Verbesserungspotential, zumal der eintönige Kurs ansonsten kaum Abwechslung bietet. Man hat aber auch in diesem Segment den Anschluss an internationale Standards gefunden.
Die Teilnahme am Dubai Marathon kann sicher nur jedem Laufbegeisterten empfohlen werden, mit einer Reise verbunden ist das sicher eine lohnenswerte Aktion. Zudem ist man dann Teil einer großen Läufergemeinde, die friedlich und Völker verbindend ein Fest des Laufsports feiert, bei dem sich jeder an den gemeinsamen Erlebnissen erfreut.
In einer Region, in der nur unweit von dem Emirat die Grundpfeiler aller Humanität gewaltig aus den Fugen geraten sind, ist dies vielleicht der bemerkenswerteste Aspekt des Dubai Marathons.
Helmut Winter
Ergebnis der Männer:
1. |
Berhanu Hayle, Lemi |
ETH |
2:05:28 |
2. |
Desisa Benti, Lelisa |
ETH |
2:05:52 |
3. |
Robi Melka, Deribe |
ETH |
2:06:06 |
4. |
Lelisa Gemechu, Feysa |
ETH |
2:06:35 |
5. |
Lemma Kasaye, Sisay |
ETH |
2:07:06 |
6. |
Worku Hayla, Bazu |
ETH |
2:07:09 |
7. |
Dechase Beyene, Chele |
ETH) |
2:08:11 |
8. |
Birhanu Gebru, Girmay |
ETH |
2:08:56 |
9. |
Takele Bikila, Adugna |
ETH |
2:09:39 |
10. |
Belay Shiferaw, Andualem |
ETH |
2:09:59 |
11. |
Wasihun Lakew, Mule |
ETH |
2:10:57 |
12. |
Workneh Abate, Asmare |
ETH |
2:12:05 |
13. |
Habtemicael Beyn, Isayas |
ERI |
2:12:13 |
14. |
Addise Achamie, Birhanu |
ETH |
2:12:19 |
15. |
Karinga, Julius |
KEN |
2:12:27 |
16. |
Chala, Sufa |
ETH |
2:12:29 |
Splits der Männerspitze:
5 km |
14:37 |
|
10 km |
29:21 |
14:44 |
15 km |
44:11 |
14:50 |
20 km |
59:01 |
14:50 |
HM |
1:02:19 |
|
25 km |
1:13:55 |
14:54 |
30 km |
1:28:55 |
15:00 |
35 km |
1:43:51 |
14:56 |
40 km |
1:59:00 |
15:09 |
Ziel |
2:05:28 |
6:28 |
Ergebnis der Frauen:
1. |
Mergia Medessa, Aselefech |
ETH |
2:20:02 |
2. |
Cherono Kiprono, Gladys |
KEN |
2:20:03 |
3. |
Wangui Kabuu, Lucy |
KEN |
2:20:21 |
4. |
Demissie Ware, Shure |
ETH |
2:20:59 |
5. |
Kebede Shewaye, Aberu |
ETH |
2:21:17 |
6. |
Seboka Seyfu, Mulu |
ETH |
2:21:56 |
7. |
Bekele Alemu, Tadelech |
ETH |
2:22:51 |
8. |
Duliba, Aliaksandra |
BLR |
2:23:06 |
9. |
Afework Bekele, Abebech |
ETH |
2:23:33 |
10. |
Bekere Dido, Ashete |
ETH |
2:23:43 |
11. |
Moges Cherenet, Betelhem |
ETH |
2:24:29 |
12. |
Sultan, Haydar |
TUR |
2:24:44 |
Splits der Frauenspitze (Verfolger):
5 km |
16:20* |
|
10 km |
32:40 (33:18) |
16:20 |
15 km |
49:03 |
16:23 |
20 km |
1:05:23 |
16:20 |
HM |
1:08:55 (1:10:15) |
|
25 km |
1:21:55 |
16:32 |
30 km |
1:38:47 (1:39:50) |
16:52 |
35 km |
1:56:07 |
16:17 |
40 km |
2:13:00 |
16:53 |
Ziel |
2:20:02 |
7:02 |
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