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2014

3000 m-Siegerin Sfan Hassan (links) und die neue 1500 m-Weltrekordlerin Genzebe Dibaba in Karlsruhe ©wus-media - Wilfried Raatz

1500 m-Weltrekord der Äthiopierin Genzebe Dibaba krönt Indoor-Meeting in Karlsruhe – Wilfried Raatz berichtet

By GRR 0

"Wir konnten nicht mit derart guten Leistungen rechnen", freute sich Klaus Hoffmann, der Geschäftsführer der Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH nach einem zweistündigen Hauptprogramm vom Feinsten in der Karlsruher Europahalle bei der 30. Auflage des Indoor Meeting, das einmal mehr den Zusatz "Weltklasse in Karlsruhe" verdiente.

Und Alain Blondel, der Sportchef des Indoor-Meeting, versuchte eine Erklärung, weshalb innerhalb der Veranstaltung auf der runderneuerten Kunststoffbahn Topleistungen am laufenden Band erzielt werden konnten, auch wenn diese nicht mathematisch einwandfrei ausfiel: "Es waren zu 100 Prozent die Athleten, vielleicht dann noch einige Prozente dazu der neue Belag und das Publikum!"  

In der Tat, die Zuschauer erlebten nicht nur im minutiös gestalteten Hauptprogramm, sondern auch bereits zuvor im Rahmenprogramm mit den couragierten Auftritten des deutschen, aber auch des baden-württembergischen Nachwuchses Leichtathletik vom Feinsten.
Rekorde und Ranglistenbestleistungen sind das eine, der Kampf um Zehntelsekunden oder Sekunden in den Läufen, um Zentimeter in den Sprungwettbewerben das andere, was auch die äußerst engagierte und unterhaltsame Moderation mit dem ZDF-Mann und früheren Klasse-Langstreckler Wolf-Dieter Poschmann den Fans in der Europahalle näher brachte.

Wenn dann noch einige deutsche Athleten im Kampf um den Sieg mit Herzblut eingreifen konnten, dann haben die Meeting-Macher alles richtig gemacht. Hier rennt eine Nadine Hildebrand (VfL Sindelfingen) im 60 m-Hürden-Sprint mit zunächst 7,96 und dann mit 7,91 Sekunden gleich zweimal Weltjahresbestleistung, dort sprintet Verena Sailer (MTG Mannheim) mit 7,18 Sekunden eine bislang in Europa in diesem Jahr noch nicht erreichte Marke, katapultiert David Storl (LAC Erdgas Chemnitz) im Duell mit dem Weltjahresbesten Ryan Whiting (USA) die Kugel auf 21,33 m und springt Malte Mohr (TV Wattenscheid) in Abwesenheit seiner (wegen Verletzung absagenden) deutschen Konkurrenz Rafael Holzdeppe und Otto mit 5,75 m zum Sieg.

Jede dieser Leistungen wäre die Headline dieses Beitrags wert, wenn nicht die 22jährige Äthiopierin Genzebe Dibaba in einem phantastischen Rennen mit 3:55,17 Minuten die Weltrekordmarke von Elena Soboleva (Rußland) aus dem Jahr 2006 um drei Sekunden gesteigert hätte.
In einem idealen Rennen führte die Slowenin Sonja Roman die Hallen-Weltmeisterin von 2012 zur 1000 m-Marke mit 1:02:39 (400 m) und 2:08,96 (800 m), ehe sie dann das Werk in bravourös beendete. "ich habe mich ernsthaft auf dieses Rennen vorbereitet, aber nicht unbedingt mit einer 3:55 gerechnet. Ich bin sehr, sehr glücklich!" gestand jüngere Schwester der dreifachen Olympiasiegerin Tirunesh Dibaba, die übrigens den dritten Sieg in Folge in der Europahalle schaffte.

Die weiteren Läuferinnen im 1500 m-Rennen waren angesichts des Tempodiktats lediglich "schmückendes Beiwerk". Dreizehn Sekunden hinter der neuen Weltrekordlerin kam mit Angelika Cichocka die Siebte der Hallen-WM 2012 aus Polen ein, die mit 4:08,15 sogar fast Hausrekord gelaufen war. Dass von den acht Starterinnen gleich sechs persönliche Bestzeit laufen konnten, das zeigt auf der einen Seite, wie sehr die Embaye, Magnani und Co. auf dieses Karlsruher Rennen fixiert waren, auf der anderen Seite offenbart es aber auch den Mangel an guten Hallen-Wettbewerben mit der 1500 m-Strecke im Angebot.

Bleiben wir noch einen Takt bei den Frauen – und blicken zur 3000 m-Distanz, bei der mit Corinna Harrer die hoch ambitionierte Allrounderin der LG Telis Finanz Regensburg stand. Doch "Coco" hatte keineswegs einen guten Tag zum Erreichen der Hallen-WM-Norm von 8:58,00 erwischt. "Das war kein Laufen. Für mich stehen nach diesem Rennen einfach nur Fragezeichen!" zeigte sich Corinna Harrer reichlich ratlos. "Wir haben im Trainingslager gut trainiert. Allerdings habe ich bei der Anreise eine Panne gehabt und war letztlich acht Stunden unterwegs. Aber daran hat es nicht gelegen!"

Trainer Kurt Ring ging wenige Minuten später direkt zur Analyse über und kritisierte: "Mit 2:54 war das Rennen die ersten 1000 m zu schnell, da ist sie schon zu sehr im Laktat gelaufen. Es wäre noch nicht einmal so schlimm, wäre das Tempo gleichmäßig gewesen!" Doch die Hallen-EM-Zweite des Vorjahres ist kein Kind von Traurigkeit, sondern blickte schon in den Katakomben der Europahalle mit Hoffnungen voraus: "Im Vorjahr habe ich mit 8:51 ein optimales Rennen gehabt, heute nicht. Das nächste Rennen kommt bestimmt, dazu brauche ich aber noch einen Plan B. Diesen habe ich aber noch nicht!"

Ob sie nun einen erneuten Anlauf auf die WM-Norm alleine bei den "Deutschen" oder gar noch bei einem anderen Rennen unternehmen wird, das ließ sie zur Stunde noch offen. "Solche negative Ausrutscher gehören einfach dazu!"

Mit 8:45,32 Minuten lief die inzwischen mit einem niederländischen Pass ausgestattete Äthiopierin Sifan Hassan zu einer weiteren Weltjahresbestleistung. Mit einer beeindruckenden Schlussrunde machte die U23-Cross-Europoameisterin "ernst" und holte drei Sekunden gegenüber der Kenianerin Viola Kibiwot heraus, die in 8:48,12 Zweite wurde. "Ich bin erstmals in der Halle gelaufen. Ich hatte eigentlich keinen Plan, wie ich das Rennen gestalten will. Die Zeit ist wirklich ok. Ob ich jedoch bei der Hallen-WM starten werde, das habe ich noch nicht entschieden!"

Enttäuschend hingegen der Auftritt ihrer für Bachrein startenden früheren Landsfrau Maryam Jamal, der zweifachen 1500 m-Weltmeisterin und Olympiadritten von London. Nach 8:56,90 lief die 30jährige über die Ziellinie. Eine Zeit, die gewiss gerne Corinna Harrer in der Ergebnisliste gesehen, aber dies sollte diesmal in Karlsruhe nicht gelingen. Im harten Fight gegen die gebürtige Äthiopierin Layes Abdoullayeva (Aserbeidschan)  behielt sie jedenfalls knapp die Oberhand.  

Gegen das Feuerwerk der Frauen hatten die Männer sicherlich vieles, aber nicht die erwarteten Topresultate entgegen zu setzen. Erfreulich, dass in allen drei Mittelstreckenrennen deutsche Läufer mit teilweise Bravour beteiligt waren. Die vielleicht beste Partie spielten dabei die 1500 m-Läufer. Auch wenn am Schluss die Power fehlte, mit 3:40,26 deutete Homiyu Tesfaye (LG Eintracht Frankfurt) an, dass er gerne im DLV-Aufgebot für Sopot stehen möchte. Zwar verlangt der DLV für die Hallen-Weltmeisterschaften einen Leistungsnachweis von 3:39,50, obwohl die von der IAAF gesetzte Norm lediglich 3:41,00 ist.

Cheftrainer Wolfgang Heinig, zudem auch Heimtrainer des gebürtigen Äthiopiers, der überraschend in Moskau WM-Fünfter wurde, ballte mit Blick auf seine Stoppuhr schon einmal die Faust zur Freude, denn zwei Tage zuvor war er nach einem eher miserablen Rennen in 3:53 regelrecht abgestürzt. "Bis 1000 m war es noch sehr locker", gestand Homiyu Tesfaye nach seinem starken Auftritt in der Europahalle, "danach war es nicht einfach. In Düsseldorf hat mir nach dem Trainingslager noch die Kraft gefehlt, da war ich einfach zu müde!"

Bei den deutschen Meisterschaften in Leipzig wird der 21jährige über 3000 m starten, einen Versuch über 1500 m möchte er allerdings zuvor noch starten.

Direkt hinter dem Frankfurter schaffte Florian Orth (LG Telis Finanz Regensburg) Rang fünf, für ihn wurden 3:41,58 gestoppt. Er hatte sich zumeist am Ende des leider nur acht Läufer starken Feldes (die zwei Tempomacher nicht berücksichtigt) aufgehalten, im direkten Schlepp von Carsten Schlangen (LG Nord Berlin). "Mit der Zeit kann ich gut leben", freute sich Florian Orth, "zumal das Tempo für mich gestimmt hat!" Der aus Nordhessen stammende Mittelstreckler sieht sich auf einem guten Weg in Richtung Leipzig, eine WM-Karte möchte er nach den eher negativen Resultaten des Vorjahres nicht zu spielen. Auf welcher Distanz er allerdings in Leipzig starten wird, das möchte er noch offen lassen. "Da pokern doch alle etwas…!"

Dagegen fühlt sich Carsten Schlangen noch nicht bereit für schnelle Rennen. "Ich bin nicht sonderlich gut drauf, da ich wegen einer Erkrankung noch einen Trainingsrückstand habe. Meine DM-Form werde ich in den nächsten zwei Wochen noch entwickeln können, da spreche ich zumeist gut darauf an. Ich bin mit der 3:43er Zeit nicht sonderlich enttäuscht!"

An der Spitze des 1500 m-Rennens sorgte der kenianische WM-Vierte Nixon Chepseba in 3:37:02 Minuten vor eine neue Weltjahresbestmarke, musste allerdings schon so schnell laufen, um die starke Konkurrenz mit dem Olympiasechsten Gebremehdin Mekonnen (Äthiopien/ 3:37:42) und den WM-Dritten Johan Conje (Südafrika/ 3:37:49) in Schach zu halten.

Ohne den letztjährigen Sieger und aktuellen Weltjahresbesten Adam Kszczot (Polen) gingen die 800 m über die vier Runden. Um einen Hauch hätte es dennoch fast einen polnischen Sieg durch Marcin Lewandowski gegeben, doch der WM-Vierte 2013 musste sich bei Zeitgleichheit von 1:46,30 dem Kenianer Abraham Rotich geschlagen geben. Hinter dem Spanier Kevin Lopez spielten die deutschen Asse Andreas Lange (LG Reinbek/Ohe) und Patrick Zwicker (LC Rehlingen) eine starke Rolle, während Sören Ludolph (LG Braunschweig) noch nicht wieder auf dem früheren Niveau läuft und abgeschlagener Siebter (1:49,88) wurde.

Lediglich um eine Hundertselsekunde blieb dabei der U 20-Europameister Patrick Zwicker mit 1:47,63 hinter dem 22jährigen Andreas Lange zurück und war in prächtiger Stimmung beim Interview: "Das werden spannende Meisterschaften!" und gab damit eine Kampfansage an den drei Jahre älteren Kollegen Lange, der sich über die "geniale Zeit" (O-Ton) freute, wenngleich diese noch mehr als eine halbe Sekunde über der Hallen-WM-Norm liegt.

Zwei Tage nach seinem Sieg in Düsseldorf zeigte sich der Kenianer Calöeb Ndiku auch in Karlsruhe als Chef auf den 15 Runden, sprich 3000 m. Diesmal wurden 7:36:27 gestoppt, im geschlagenen Feld seine kenianischen Landsleute wie der Hallen-WM-Zweite Augustine Choge (7:37,76) und der Hallen-Weltmeister 2012 Bernard Lagat, der seit 2005 allerdings für die USA startet und bereits zwei Olympiamediallen und fünf WM-Titel gewinnen konnte.

Der Traum von einem deutschen Rekord platzte für Arne Gabius (LAV Stadtwerke Tübingen) spätestens nach der 1500 m-Marke, als er abreißen lassen musste und fortan alleine auf sich gestellt das Rennen zu Ende laufen musste. Und dabei standen letztlich 7:54,68 zu Buche. "Das Rennen war zu dicht am Trainingslager. Es hätte zwei Wochen später sein müssen…." entschuldigte sich Arne Gabius nach dem Rennen bei Sportchef Alain Blondel. "Nun werde ich es in Birmingham noch einmal versuchen, in zwei Wochen werde ich bestens erholt sein", blickte der Hamburger bereits wieder hoffnungsvoll voraus.

Im Vorprogramm war die Bühne frei für die jungen Lauftalente. Und viele nutzten ihre Chance, sehr zur Freude des DLV-Nachwuchstrainers Adi Zaar. I

m U 23-Wettbewerb über 1500 m steigerte sich der 22jährige Karlsruher Jannik Arbogast um fünf Sekunden auf 3:51,55 und freute sich wie auch Frederik Giloy (MTG Mannheim/ 3:53,45) über einen starken Auftritt in der Europahalle. Der gleichaltrige Stefan Hettich (TSV Gomaringen) bezwang im 800 m-Rennen in 1:50,97 den 19jährigen Abdi Uya Hundessa (LC Mengerskirchen/ 1:51,31) und den erst 18jährigen Marc Reuther (Wiesbadener LV/ 1:51,50).

Über 1000 m der U18 lieferten sich Patrick Berlejung (ABC Ludwigshafen) und Clemens Lutterbach (LC Rothaus) einen packenden Zweikampf, den der Pfälzer in 2:40,79 knapp gegen den Südbadener (2:41:22) gewann. Mit einer überzeugenden Vorstellung katapultierte sich Mareen Kalis (LC Paderborn) im 800 m-Rennen der U18 nach 2:08,73 in eine Mitfavoritenrolle bei den deutschen Jugendmeisterschaften, während sich über der 1000 m-Distanz der U18 Anja Wagenblast (LG Limes-Rems) in 2:57,18 knapp gegen Jana Reinert (SV Langensteinbach/ 2:57:80) durchsetzen konnte.

Schließlich gelang mit Sarah Hettich einem weiteren jungen Karlsruher Talent ein Sieg im U23-Wettbewerb über 1500 m in 4:42,18 Minuten, womit sich der Reigen der Nachwuchsläufe für ein begeisterndes Publikum schloss.       

 

Wilfried Raatz

 

Video:  https://www.watchathletics.com/video/major/1705/1500m-world-record-indoors-genzebe-dibaba-3-55-17/

author: GRR

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