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15
08
2023

Läufer an der ehem. Berliner Mauer

11. „100MeilenBerlin – Der Mauerweglauf am 12./13. August 2023“ – Albrecht Schönbucher und sein Spendenlauf

By GRR 0

Dort wo einst eine Mauer Menschen aus einer Stadt, Familien und Freunde, Ost und West voneinander trennte und so unsägliche Leiden verursachte, fand am vergangenen Wochenende der 11. Berliner Mauerweglauf über 100 Meilen (161 km) statt.

Auf den Tag genau 62 Jahre nach dem Mauerbau erreichte die Mehrzahl der Finisher das Ziel im Limit der erlaubten 30 Stunden – nämlich all diejenigen, die länger als 18 Stunden unterwegs waren. Eine Minderheit schaffte das sogar noch vor Mitternacht, über ein Drittel musste aufgeben.

Mit der Idee, Geschichte «erlaufbar» zu machen, war dieser Gedenklauf 2011 in kleinerem Rahmen gestartet – heute zählt er mit internationaler Resonanz zu den bedeutendsten 100-Meilern der Welt. Nach meiner ersten Teilnahme im vergangenen Jahr ließ mich trotz aller Leiden und Strapazen die Idee nicht mehr los, ein zweites Mal zu starten. Motivierend war sicherlich die Tatsache, auf Anhieb unter 60 Gemeldeten Ü-60ern überraschend meine Altersklasse in 21:38 gewonnen zu haben. Noch mehr jedoch, weil es ein ganz besonderer Lauf ist, bei dem die Gedanken bei den Opfern dieser Zeit sind, das Leid der Menschen einem nahe ist und das Passieren so vieler historischer Orte einem die Strapazen meistens erträglich machen.

Die Laufstrecke in Berlin, Albrecht Schönbucher und die „Spenden“-Schule in Lomé – Foto: privat

Was scheint naheliegender, als einen solchen Lauf zu nutzen, um andere Opfer, die einer ungerechten Welt, mittels eines Spendenlaufs zu unterstützen. Also aktivierte ich mein gesamtes privates und berufliches Umfeld, um Gelder zu sammeln, die in einem Vorort der togoischen Hauptstadt Lomé in Westafrika Kindern aus allerärmsten Verhältnissen den Schulbesuch ermöglichen soll.

Die Schule wird seit Langem von einem Förderverein in Freiburg i. Br. unterstützt. Seit 2014 bin ich Teil der Mon Devoir Marathon Gruppe, die bereits 175 Marathons veranstaltete, deren Startgelder vollumfänglich dem Stipendienfonds für den Schulbesuch zufließen. Bis zum Start in Berlin kamen so bereits knapp 8’000.- zusammen – bis 20. August darf noch gespendet werden für diese kleine Kampagne. Meine versprochene «Gegenleistung»? Wenige Tage vor meiner Berentung und dem 65. Geburtstag die Strecke in 21 Stunden zu finishen.

Pünktlich um 6 Uhr morgens am 12. August fiel der Startschuss für die gut 500 Einzelstarter*innen, immerhin ein Drittel Frauen.

 

 

Später folgten die Staffeln. Dieses Jahr führte die Laufrichtung im Uhrzeigersinn von Berlin Mitte durch das noch schlafende Regierungsviertel, zunächst in den Süden der Stadt. Zur Orientierung also: in Laufrichtung rechts lag stets das alte West-Berlin und links der Osten. Nach 6 absolvierten Marathons und 3 Ultras (von 53 bis 95km) seit Januar fühlte ich mich bestens vorbereitet. Anfangs fühlten sich die Beine noch so leicht an, dass ich den ersten der fast vier Marathons in viel zu schnellen 4:17 zurücklegte. Per Whatsapp erfuhr ich von einem Lauffreund, dass ich seit einiger Zeit in der Altersklasse vorne läge. Ab sofort schob ich deutlich längere Pausen an den mit reichhaltiger Verpflegung ausgestatteten insgesamt 26 VPs ein. So gestattete ich mir an VP7 bei «Ninas Eltern» neben Käsehäppchen auch ein kleines Wachtelei – köstlich!

   Bei  VP12. gab es echtes Bierchen – Foto: privat

Das Laufen fiel mir bald deutlich schwerer. Die Pace lag nun nur noch bei 7 oder 8 Minuten pro Kilometer. Die Gespräche mit den Laufkolleg*innen begannen zunehmend zu verebben. Jeder der vielen VPs half nun neben der Getränke- und Essenszufuhr auch zur seelischen-mentalen Stärkung – angesichts der unglaublich sympathischen und hilfsbereiten Volunteers, mehr als 400 an der Zahl. Auch die zu Beginn lästigen Ampelstopps – wer rote Ampeln ignoriert kann disqualifiziert werden – boten jetzt willkommene schöpferische Pausen und die Chance, kurz die Muskeln zu dehnen. Die familiäre Begleitung meiner in Berlin lebenden Tochter mit Freund auf dem Rad, entlang des Jungfernsees gleich hinter Potsdam, erweckte aufs Neue meine Lebensgeister aus der zwischenzeitlichen Lethargie. Ich entschloss mich zu einer letztlich fast halbstündigen Regenerationspause im Liegestuhl bei km 88 am VP Schloss Sacrow – einem der drei Stellen, an denen Dropbags mit Wechselkleidern deponiert werden konnten.

Die Teilnehmer:innen  vor dem Brandenburger Tor – Foto: privat

Mit frischen Socken und neuem Schuhwerk ging es weiter gen Norden. Eine Freundin leistete moralischen Support an mehreren aufeinanderfolgenden VPs bis hinauf nach Spandau. Seit Längerem quälte mich eine latente Übelkeit – nicht Unbekanntes für Ultraläufer und doch immer sehr lästig. Auch die schwülen Wetterbedingungen taten ein Übriges hierzu. Fortan nahm ich nur noch das absolut Nötigste an Nahrung zu mir – ein bisschen Obst, kleine Kartoffelstückchen etwa. Nach einem erfrischenden Regenguss ging es so langsam in den kritischen Bereich jenseits der 100km. Gemächlich gehende, erschöpfte Kolleg*innen waren nun häufiger zu sehen. Mir selbst half, dass «meine Zeit» bei Ultras – sonst mehrheitlich in den Bergen – fast immer im letzten Drittel kommt, Erfahrung eben. Die Ruhe der Nacht, durch weitgehend ablenkungsfreie dunkle Wälder im Norden Berlins half mir, ganz fokussiert zu sein und meinen Rhythmus zu halten. Die Devise: immer bis zum nächsten VP durchlaufen, maximal ein bis zwei sehr kurze Gehpausen einflechten, dann kurze Boxenstopps.

Nach ca. 12 Stunden 15 Minuten hatte ich die 100km-Marke passiert, nach 15 Stunden fehlte «nur» noch eine letzte Marathonstrecke.

Rein rechnerisch galt es jetzt, im Rahmen von 6 Stunden das Ziel zu erreichen. In keinem Moment zweifelte ich daran, dass dies gelingen könnte. Und doch war es ein brutaler Kampf, jedes Mal nach einem VP aufs Neue loslaufen zu «müssen». Gegen 1 Uhr nachts waren die Lichter der Stadt mit dem markanten Alex-Fernsehturm zu sehen – dort in der Nähe liegt der Start- und Zielbereich. Noch einige Kilometer quer durch Prenzlauer Berg, vorbei an Nachtschwärmern – die 21-Stundenmarke war nun greifbar nahe. Einige rote Ampeln machten mich dann doch noch etwas nervös, aber nur wenige Schritte fehlten zum Ziel im Eisstadion.

                                                                                                                               Am Hotel ADLON – Foto: privat

Nach 20:45:47 passierte ich unter dem Applaus einer ganze Menge Menschen, die um kurz vor 3 Uhr nachts ausgeharrt hatten, überglücklich und erschöpft die Ziellinie.

Mein ambitioniertes Ziel mit 21 Stunden war sogar deutlich unterboten, Rang 1 in der Altersklasse, dieses Mal der AK 65, gesichert. Auf der zweiten Hälfte der Strecke hatte ich mich noch von Gesamtrang 86 (Männer 61) auf Rang 55 (40) vorgekämpft – trotz des «Blitzstarts». Das Glück war fast vollkommen und wurde mit zwei feinen gezapften Bieren gemeinsam mit einem Laufkollegen gebührend gefeiert. Ohne akribische Vorbereitung würde ich allerdings diesen wunderbaren Gedenklauf niemandem empfehlen – unbedingt aber in einer der Staffeln. Unglaubliche 36% aller Startenden erreichten das Ziel leider nicht.

Minutenlange Begeisterungsstürme löste bei der Siegerehrung die 51-jährige Norwegerin Line Caliskaner aus: sie schaffte es als erste Frau bei diesem harten Rennen, den Gesamtsieg davonzutragen und sensationell sämtliche Männer regelrecht zu distanzieren– in stolzen 13:53:57! Eineinhalb Stunden unter dem bestehenden Streckenrekord der Frauen und 32 Minuten vor dem schnellsten Mann!

Ich danke abschließend allen, die mich so toll unterstützt und großzügig gespendet haben oder das vielleicht noch tun werden.

Albrecht Schönbucher

Noch bis 20. August 2023 kann gespendet werden.

Alle Infos unter: www.mon-devoir.de/aktiv-werden/benefizaktionen/albrecht-100-meilen/

Albrecht Schönbucher
Scheffelstr. 41
79102 Freiburg

Al.schoenbucher@gmail.com

Wie einige Agenturen am Montag meldeten war auch Bundeskanzler Olaf Scholz an einem Verpflegungspunkt in Teltow  des Mauerweglaufes und zeigte sich beeindruckt von der Leistungen der Teilnehmer:innen. Es ist nicht unbekannt, dass der Kanzler auch Jogger ist und oft auf der Havelstrecke am Flensburger Löwen in Wannsee zu sehen.

Am 62. Jahrestag des Mauerbaus in Berlin betonte der Kanzler wie „wichtig das Eintreten für Frieden und Freieit sei“ schreibt der TAGESSPIEGEL.

Horst Milde

https://germanroadraces.de/?p=49192

author: GRR